Am Freitag vergangener Woche stand das Thema Elterngeld auf der Tagesordnung, wo Schwarz-Rot ebenfalls eine neuen Anlauf namens „Elterngeld Plus“ unternimmt. Wir erachten ihn als halbherzig und zu starr, erklärt Franziska Brantner (MdB). „In meiner Rede verwies ich auf die Praxis in Schweden, die den Eltern viel bessere Möglichkeiten gibt, Familie und Beruf zu verbinden. Dieses Modell ist flexibler, fairer für Alleinerziehende und lässt sich – im Interesse der Eltern – auf bis zu 112 Monate strecken und in mehreren Tranchen bis zum 14. Lebensjahr des Kindes ausdehnen.“
Hier ihr Rede im Original:
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die Kollegin Dr. Franziska Brantner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Präsidentin! Liebe Frau Schwesig! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Weinberg, danke fürs Zitieren! Ich sage gleich noch etwas zur echten Wahlfreiheit beim Elterngeld. Zum Ehegattensplitting: Ich bin da sehr klar: Das muss weg. Über das Wie diskutieren wir. Dazu haben Sie auch schon einen Vorschlag gemacht. Von daher sind Sie in der Diskussion schon mit dabei.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Elterngeld muss weg, oder was?)
– Habe ich „Elterngeld“ gesagt? Ich meinte „Ehegattensplitting“; sorry.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du hast es richtig gesagt! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht weg! Verbreitern!)
– Das ist die Debatte über das Wie: Wie ändern wir es? Wir sagen: Es muss weg und durch etwas anderes ersetzt werden. Sie sagen: Familiensplitting. – Die Debatte ist offen.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wollen ja immer die Familien benachteiligen!)
– Genau, zu den Familien: Deutschlands Familien, das sind: Alleinverdienende, Doppelverdiener, Minijobarbeitende, Teilzeitarbeitende, Schichtarbeitende, Pendler, getrennt, verheiratet, verpartnert oder einfach nur zusammen, ein Kind, zwei Kinder, drei Kinder oder mehr – die Vielfalt ihrer Wünsche und Bedürfnisse ist unser Auftrag hier.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Frau Schwesig, Ihr Modell ist unfair, weil Alleinerziehende die 25 bis 30 Stunden kaum schaffen können. Auch für jene Mütter, die mit jemandem zusammenleben, aber die gar nicht auf 25 Stunden hochgehen können, weil sie sich schon mit zwei Minijobs herumschlagen und ein dritter gar nicht möglich ist, greift das Modell nicht. Das Modell ist auch unfair, weil es egal ist, ob eine Mutter oder ein Vater auf eine Halbtagstätigkeit reduziert oder nur eine Stunde pro Tag weniger arbeitet – die Dauer der Zahlung des Elterngeldes wird immer nur verdoppelt, maximal auf 28 Monate. Das ist für jene, die ihre Arbeitszeit zum Beispiel nur um ein Viertel reduzieren, nicht ganz fair. Das Modell ist auch unfair – das haben wir heute schon vielfach gehört – für all jene, die im ALGII-Bezug sind.
Wir als Grüne wollen deshalb von anderen europäischen Ländern lernen. Mittlerweile ist bekannt, dass Schweden die Vereinbarkeit besser hinbekommt als Deutschland und dass sich dort Väter auch mehr an der Familienarbeit beteiligen. Warum ist das so?
Nehmen wir das schwedische Elterngeld: In Schweden können Eltern das Elterngeld anteilig und dafür für einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Ein Beispiel: Eine Mutter, die ihre Arbeitszeit zu einem Viertel reduziert, bekommt viermal so lange Elterngeld. Ihr Partner, der zu einem Achtel weniger arbeitet und sie unterstützt, kann achtmal so lange Elterngeld beziehen. Das macht es für beide Elternteile leichter, gleichzeitig auszusteigen und sich das Elterngeld länger zu teilen.
Deswegen schlagen wir vor, dieses schwedische Modell des Elterngelds zu übernehmen und dafür, auch wie in Schweden, die Elternzeit bis zum 14. Lebensjahr des Kindes auszuweiten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stellen Sie sich einmal vor, auch in Deutschland würde die Vielfalt der Familien und der Lebensphasen wirklich so anerkannt werden! Eine alleinerziehende Mutter könnte für die ersten acht Monate nach der Geburt des Kindes ganz aussteigen, dann für vier weitere Monate zu einem Viertel wieder einsteigen. Dann blieben ihr immer noch weitere sechs Monate für einen Halbtagsjob. Oder sie sparte sich die Zeit auf, für die Einschulung des Kindes zum Beispiel oder für noch später.
So könnten Eltern den Bezug von Elterngeld, mit Partnermonaten inklusive, auf maximal 112 Monate strecken. Stellen Sie sich vor, dabei könnten sie das Elterngeld wirklich bis zum 14. Lebensjahr des Kindes nutzen – wie es eben der vielfältigen Realität entspricht! –, wenn das Kind in die Pubertät kommt, wenn es auf eine weiterführende Schule wechselt oder wenn es einfach einmal mehr Zuwendung braucht, wenn mehr Zeit für das Kind notwendig ist.
Unser Modell macht drei Dinge:
Erstens. Es macht einen schrittweisen Wiedereinstieg in den Beruf einfacher.
Zweitens. Es erlaubt auch in späteren Phasen des Lebens eines Kindes, Arbeitszeit zu reduzieren und dafür noch ein Zeitguthaben zu haben.
Drittens. Es macht es Vätern leichter, sich zu beteiligen. Eine halbe Stelle schreckt viele Väter ab. Mit einer geringeren Reduzierung, dafür aber für länger, werden mehr Väter erreicht, und die Beteiligung am Elterngeld balanciert sich zunehmend aus. Wenn man sich die Statistik in Schweden anschaut, sieht man – das ist ganz interessant –, dass Väter nach dem dritten Lebensjahr des Kindes – bei Frau Schwesig in Deutschland gibt es dann schon kein Elterngeld mehr – genauso viel Elterngeld in Anspruch nehmen wie Mütter. Über das schwedische Elterngeldmodell kommt es zu einer wirklich partnerschaftlichen Aufteilung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich brauchen wir dazu auch eine familienfreundlichere Arbeitswelt und kultur. Es sind eben nicht die Familien, die sich dem Arbeitsmarkt anpassen müssen, sondern andersherum. In Deutschland haben wir einen wirklich schlechten Mix. Wir haben die Präsenzkultur, kombiniert mit der weitverbreiteten Dauererreichbarkeit. Präsenzkultur und Dauererreichbarkeit führen zum Burnout, wie wir es vorhin schon gehört haben. Auch in diesem Fall sollten wir uns unsere europäischen Nachbarn anschauen. In Holland und in Frankreich beispielsweise werden Zeitchartas vorgegeben. Arbeitgeber verhandeln mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über das „Von wann“, „Bis wann“, „Wo“ und „Mit welcher Verfügbarkeit“, damit nicht alle um 9 Uhr anfangen müssen und zuvor eine Stunde lang gemeinsam im Stau stehen, sondern die Zeiten flexibler nutzen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Darum geht es uns bei unserem Modell des flexiblen Elterngeldes: Wir wollen, dass sich Eltern frei aussuchen können, wie viel, wann und wie sie arbeiten. Dafür braucht es eine verlässliche Kindertagesbetreuung, insbesondere für Alleinerziehende, eine familienfreundliche Kultur in den Unternehmen und Instrumente, die Flexibilität und Vielfalt zulassen. Dafür steht unser Modell des flexiblen Elterngeldes.
Liebe Große Koalition, schaffen Sie doch die echte Wahlfreiheit! Wir wären dafür.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)