TTIP – Das Ende von Verbraucher- und Umweltschutz? Für alle, die noch mehr wissen wollen, gibt es hier den Text von Marlies Brinkmeier:
EU-Recht: Information zum TTIP Freihandelsabkommen
Warum ist das geplante TTIP im Wortlaut nicht einsehbar?
Das TTIP* Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU wird in Brüssel hinter verschlossenen Türen zusammen mit Vertretern der Wirtschaft verhandelt. Die Verhandlungsdokumente liegen im genauen Wortlaut nicht einmal der Regierung oder den Parlamentsabgeordneten in Berlin oder anderen EU-Staaten vor. Dies ist der Grund, warum viele Menschen von diesem größten Abkommen der Nachkriegsgeschichte noch nicht einmal etwas gehört haben. Nur wenige Passagen sind bisher zur Einsicht freigegeben worden, andere Teile des geplanten Vertrages sind inzwischen „durchgesickert“. Ein Blick auf vergleichbare Verträge, die die USA bereits mit Ländern wie Kanada oder Mexiko unterzeichnet hat, zeigt ebenfalls eine deutliche „Fahrtrichtung“. Es ist geplant, nur den kompletten Gesetzesentwurf ohne Möglichkeit der Änderung einzelner Passagen von den Länderparlamenten der EU abstimmen zu lassen. Zur Zeit wird sogar versucht, die Abstimmung der Länder überflüssig zu machen. Hierzu wird vor dem EU-Gerichtshof eine Klage vorbereitet, in der argumentiert wird, dass nach dem Lissaboner Vertrag reine Handelsabkommen nicht länger in den Länderparlamenten der EU abgestimmt werden müssen. Aber handelt es sich beim TTIP überhaupt um ein Handelsabkommen oder geht es in Wirklichkeit um viel mehr?
Worum geht es beim TTIP Freihandelsabkommen?
Zuweilen ist zu lesen, dass das TTIP ein zwischen den USA und der EU geplantes Handelsabkommen darstellt, das eine Wirtschaftsbelebung durch die Abschaffung von Zöllen sowie Vereinheitlichung verschiedener Standards anstrebt. Als Beispiel werden hier gerne die unterschiedlichen Farben der Blinker bei amerikanischen und europäischen Autos genannt. Sich hier auf Handelserleichterungen durch die Anpassung verschiedener Standards zu einigen, klingt einleuchtend. Jedoch geht das geplante TTIP über die Abschaffung von Zöllen und die Anpassung von Farben bei Blinkern weit hinaus.
Entscheidender Kernpunkt des TTIP ist vielmehr das Ziel, internationalen Wirtschaftsunternehmen das Recht zu geben, außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit Staaten auf sogenannte „Handelshemmnisse“ zu verklagen.
Beispiel: Ca. 40 % der Pestizide, die in den USA erlaubt sind, sind zur Zeit in Europa aus gesundheitlichen Gründen verboten. Der Produzent in den USA hat nach Inkraftsetzen des TTIP das Recht, Deutschland auf Schadenersatz zu verklagen mit der Begründung, dass dieses Verbot ein Handelshemmnis darstellt. Auch ein deutscher Hersteller von Pestiziden könnte klagen, indem er zunächst ein Tochterunternehmen in den USA gründet, das anschließend die Klage für den Mutterkonzern einreicht. Hierfür wird in allen Fällen ein sogenanntes Schiedsgericht eingesetzt. Dieses setzt sich wie folgt zusammen: ein Rechtsanwalt vertritt den Staat, ein Rechtsanwalt das Wirtschaftsunternehmen und ein dritter Anwalt fällt das Urteil. Eine Rechtsanwaltskanzlei, die in diesem Bereich dann tätig sein wird, kann je nach Fall eine der drei genannten Positionen übernehmen. Die Verhandlung ist nicht öffentlich, das Urteil ist von Seiten des Staates nicht anfechtbar. Die Urteilsbegründung muss i.d.R. noch nicht einmal bestimmten Rechtsanforderungen folgen oder anschließend offengelegt werden. Hier sind Willkür Tür und Tor geöffnet und dies ohne nachvollziehbare Notwendigkeit, denn wir haben ein gut funktionierendes Rechtssystem. Darüber hinaus sollte ein „Handelshemmnis“ von der Wertigkeit selbstverständlich niemals über Gesetze zum Verbraucher- oder Umweltschutz gestellt werden.
Dies gilt aber noch viel weitergehend. Einklagbar ist nämlich theoretisch jedes erdenkliche „Handelshemmnis“, also jedes Gesetz, das ein europäischer Staat zum Schutz der Verbraucher, der Umwelt, der Gesundheit, des Arbeitsrechtes, der Sicherheit usw. erlassen hat, sofern in einem Land der TTIP Vertragspartner (also z.B. den USA oder einem anderen europäischen Land) ein Produkt ohne dieses entsprechende, das Unternehmen in seinem Gewinn „einschränkende“ Gesetz verkauft werden kann.
Das Lebensmittelrecht ist in Europa in vielen Bereichen erheblich strenger als in den USA. Dies könnte demnach bald der Vergangenheit angehören. So könnten amerikanische Unternehmen z.B. den Verkauf von Chlorhähnchen, Klonfleisch oder Hormonmast, den kennzeichnungsfreien Einsatz von genmanipulierten Pflanzen in Lebensmitteln, verschiedene in Europa verbotene Zusatzstoffe u.v.m. als „Angleichung“ im Sinne des Freihandelsabkommens einfordern bzw. bei Festhalten der Regierungen an die bestehenden Gesetze Schadenersatz in unbegrenzter Höhe einfordern. Selbst das deutsche Reinheitsgebot bei Bier sowie der Schutz regionaler Spezialitäten könnten dem TTIP zum Opfer fallen.
Entsprechende Veränderungen wären in allen Branchen vergleichbar möglich. So könnten z.B. Energieunternehmen auf Wiederaufnahme der Atomstromproduktion in Deutschland klagen oder das Recht auf Fracking (eine Art der Gasförderung, die aus Umweltgründen in der EU bisher strikt untersagt ist) einklagen, gegen die Förderung alternativer Energien als „Handelshemmnis“ klagen, selbst Sorgfaltspflichten bei der Lagerung von atomaren Stoffen und sonstigem Gefahrgut könnten theoretisch eingeschränkt werden.
Einen Vorgeschmack liefert z.B. das Handelsabkommen zwischen den USA und Kanada, das den kanadischen Staatshaushalt bereits zu einer sehr hohen Strafe aufgrund des in Kanada gesetzlich verbotenen Frackings zwingt. Weltweit haben Unternehmen bereits ca. 3 Milliarden US-Dollar über entsprechende Schiedsgerichte einklagen können.
Darüber hinaus sollen auch regionale Aufträge z.B. der Kommunen in Zukunft in allen EU-Ländern und den USA ausgeschrieben werden. Die Förderung regionaler Unternehmen und Produkte wird dadurch unmöglich gemacht, denn sie würde ebenfalls ein „Handelshemmnis“ darstellen. Die „Aushebelung“ regionaler Bevorzugung würde auch zu erheblich erhöhten Umweltbelastungen z.B. durch längere Transport- bzw. Lieferwege führen sowie die Stärkung strukturschwacher Regionen erschweren.
Die Privatisierung staatlicher Aufgaben wie z.B. die Trinkwasserversorgung soll mithilfe des TTIP weiter vorangetrieben und „angepasst“ werden. Die sehr hohe Trinkwasserqualität in Deutschland wäre somit ebenfalls als Handelshemmnis rechtlich angreifbar. Private Anbieter könnten auf geringere Kontrollen und Standards bei der Wasseraufbereitung klagen.
Auch Einschränkungen des Datenschutzes wären in vielen Bereichen (Handel, Internet, Banken, Marktforschung, Versicherungen usw.) mittelfristig als Folge der Schiedsverfahrensregelung des TTIP denkbar.
Weitere Beispiele von „Handelshemmnissen“ könnten sein: soziale Standards wie der gerade eingeführte Mindestlohn in Deutschland, arbeitsschutz- und arbeitsrechtliche Regelungen u.v.m..
Warum ist das TTIP Freihandelsabkommen ab 2015 vielleicht unumkehrbar?
Der Vertrag soll bereits 2015 verabschiedet werden. Eine Kündigungsoption für einzelne Länder – selbst für die EU als Ganzes – ist nicht vorgesehen. Nur alle Vertragspartner gemeinsam könnten den Vertrag jemals kündigen. Dies darf man wohl zu Recht als ausgeschlossen ansehen.
Dazu kommt, dass das TTIP ohne Einbeziehung der Mitgliedsländer nach Verabschiedung jederzeit in Brüssel weiterentwickelt und „angepasst“ werden darf. Dies bedeutet konkret, dass einzelne „Anpassungen“ wie z.B. das in der Öffentlichkeit sehr umstrittene Chlorhähnchen oder die fehlende Kennzeichnung von „Gen-Food“ zunächst aus der Regelung herausgenommen, später aber in den Vertrag wieder aufgenommen werden könnten, ohne dass einzelne Länderparlamente hierbei ein Mitspracherecht hätten („Salamitaktik“).
Ein „Vorläufer“ dieses Gesetzentwurfes wurde bereits 1995 aufgrund eines hohen Öffentlichkeitsdruckes zurückgenommen. Das TTIP ist also ein „zweiter Versuch“.
Welche Zielsetzung hat das TTIP?
Die EU bezieht sich auf eine Studie, nach der die Verabschiedung des TTIP zu einem Wirtschaftswachstum von 0.48 Prozent bis zum Jahr 2027 führen wird. Dies stellt ein sehr bescheidenes Wachstum dar, wenn man bedenkt, welchen „Preis“ wir für die Abschaffung der sogenannten „Handelshemmnisse“ zahlen würden. Erfahrungen mit anderen Ländern zeigen allerdings, dass selbst diese Zahlen vermutlich nicht eintreten werden, sondern es vielmehr zum Abbau von Arbeitsplätzen insbesondere im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, aber auch in vielen anderen – zur Zeit eher regional geprägten – Branchen kommen wird. Gegengerechnet werden müssen außerdem Schadensersatzansprüche aufgrund von Schiedsurteilen in Milliardenhöhe sowie z.B. gesundheitliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Folgekosten.
Dies zeigt eindringlich, dass das TTIP alleinig und einseitig den Geschäftsinteressen der Wirtschaft dienen würde. Dies ist so eindeutig, dass ohne die strikte Geheimhaltung der Vertragsverhandlungen die Bürger in der EU das TTIP mit Sicherheit mehrheitlich ablehnen würden.
Warum stellt das TTIP eine Gefahr für die Demokratie in Europa dar?
Durch die Einführung der oben beschriebenen Schiedsgerichte besteht erstmals in der Nachkriegsgeschichte die Möglichkeit, das Staatsrecht der beteiligten Länder zu umgehen. Transparenz und die Vereinbarung mit europäischen Grundrechten der schiedsrechtlichen Urteile wären nicht mehr gewährleistet. Das Investitionsinteresse von Handelsunternehmen würde über das Recht der Staaten gestellt. Verbraucher- und Umweltschutz, Gesundheit, soziale Gesetzgebung, Arbeitsschutz und Arbeitsrecht könnten von internationalen Handelsunternehmen Stück für Stück ausgehebelt werden. Die dringend erforderliche Weiterentwicklung gesetzlicher Rahmenbedingungen, z.B. zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit wäre praktisch auf alle Zeiten unmöglich gemacht. Als Beispiel sei hier nur die Förderung des Bio-Anbaues sowie kleiner regionaler bäuerlicher Betriebe anstelle von Massentierhaltungen genannt. In der Massentierhaltung käme es zu einem Abbau statt dem gewünschten Ausbau von Tierschutz. Es würde in allen Bereichen stets eine Einigung auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ geben. Ein Mitspracherecht der einzelnen EU-Länder wäre praktisch nicht mehr möglich. Handelsinteressen würden über die Gesetze und die Gerichtbarkeit einzelner Staaten gestellt und dies unumkehrbar.
Wie könnte das TTIP stattdessen aussehen?
Das TTIP sollte ein demokratisch entwickeltes Handelsabkommen sein, das gemeinsam von den EU-Ländern verfasst wird mit dem Ziel, einzelne Zölle oder einzelne Standards (wie z.B. die genannten Blinker bei Autos) zu harmonisieren. Die Aufnahme zukünftiger Harmonisierungen sollte stets und ohne Ausnahme durch die Zustimmung der europäischen Länderparlamente erfolgen. Kein Land darf zu einer Gesetzesänderung aufgrund einer TTIP Vereinbarung ohne Mitsprache- oder Vetorecht gezwungen werden. Entscheidungen einzelner Regierungen zum Verbraucher- und Umweltschutz, zum Tierschutz, der Gesundheitsvorsorge, des Arbeitsschutzrechtes usw.. dürfen nicht aufgrund des TTIP Gegenstand einer Klage werden können. Es darf kein Druckmittel geben, das Rechtssystem einzelner Länder im Interesse einzelner Handelsunternehmen auszuhebeln. Das staatliche Rechtswesen muss vielmehr unantastbar bleiben. Auf keinen Fall darf es zum Einsatz von Schiedsgerichtsverfahren kommen oder der Möglichkeit, gegen Verbraucherschutzgesetze oder andere Gesetze als „Handelshemmnis“ zu klagen.
Stattdessen sollte es Ziel des TTIP sein, Verbraucherinteressen, soziale Rechte, den Tierschutz sowie den Schutz der Umwelt in Europa konsequent und zukunftsorientiert weiterzuentwickeln und sicherzustellen, dass Investitionsvorhaben auch in Zukunft nur im Rahmen der amerikanischen und europäischen Gesetzgebung stattfinden dürfen. Hierbei sollten alle vertraglich eingebundenen Länder jederzeit ein Mitsprache- und Gestaltungsrecht haben.
*Transatlantic Trade and Investment Partnership
Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Transatlantisches_Freihandelsabkommen
Text: Marlies und Carsten Brinkmeier